01. Dezember 2023

Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit

In diesem Interview mit Madeleine Porr geht es um die Zusammenhänge von Nachhaltiger Entwicklung und Geschlechtergerechtigkeit im Rahmen des Projektes "Mut wächst - klimabewusst erden"

Jana Hartwig (UMR), Regina Möller (Zentrum Kirchlicher Dienste Mecklenburg), Madeleine Porr (Referentin für Nachhaltigkeit) gemeinsam im Rostocker Rathaus für Geschlechtergerechtigkeit und Klimaschutz

In unserem Projekt Mut wächst- klimabewusst erden geht es primär um den Klimawandel, mehr Saatgutvielfalt, Humusaufbau und Lebensräume für Insekten und es geht auch um die Mensch-Natur-Beziehungen, mit besonderem Blick auf die Geschlechterperspektive.

Der Klimawandel schreitet voran und erfordert ein Umdenken in Bezug auf das Zusammenspiel von Mensch und Natur. Das Frauenwerk reflektiert mit diesem Projekt das Mensch-Natur-Verhältnis aus einer nicht herrschaftlichen, feministischen Perspektive. Dabei geht es auch um eine kritische Sicht auf tradierte und bestehende Sichtweisen und deren Prägung durch das Christentum und die Aufklärung.

Wir freuen uns, dass Madeleine Porr uns in dem Interview weitere Zusammenenhänge von Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit aufzeigt.

Madeleine Porr ist freiberufliche zertifizierte Bildungspartnerin für Nachhaltigkeit und arbeitet seit über 25 Jahren in den Bereichen Projektmanagement und Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Hier konzentriert sie sich zusammen mit ihren Kooperationspartner*innen darauf, die Zusammenhänge von Nachhaltiger Entwicklung und Geschlechtergerechtigkeit, dem UN-Nachhaltigkeitsziel Nr. 5 der Agenda 2030, Schritt für Schritt in der Öffentlichkeit verstehbar zu machen und zur Umsetzung der Erkenntnisse zu ermutigen.

Frauenwerk: Frau Porr, warum braucht Nachhaltigkeit Geschlechtergerechtigkeit?

Madeleine Porr: Statistisch gesehen besteht die Menschheit in etwa aus einer weiblichen* und einer männlichen* Hälfte (Deutschland 2022: weiblich 42,8 Mio; männlich 41,6 Mio. - destatis, 3.12.23). Da gebietet es allein schon die Gerechtigkeitslogik, dass für eine nachhaltig-lebenswerte Zukunft endlich die Lebenswirklichkeiten, Bedürfnisse und Anforderungen beider Hälften gleichwertig berücksichtigt werden. Und dass Ungleichgewichte beleuchtet, hinterfragt und angegangen werden: Ein Beispiel hierfür sind signifikant unterschiedliche Konsum-, Mobilitäts- und Ernährungsgewohnheiten zwischen den beiden Hälften, mit deutlichen Auswirkungen auf den Zustand des Klimas.

Frauenwerk: Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 ambitionierte Ziele – die Sustainable Development Goals (SDGs) – für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. In welchem finden sich die Themen Klimaschutz und Geschlechtergerechtigkeit am meisten verknüpft?

Madeleine Porr: Kurz gesagt: in keinem. Die SDGs und ihre Unterziele sind formuliert, als sei die Weltbevölkerung eine homogene Masse mit denselben Alltagsrealitäten und Ansprechbarkeiten überall – eine Differenzierung wird nur im Hinblick auf den diffusen Grad der Entwicklung eines Landes vorgenommen. Geschlechtergerechtigkeit findet sich als isoliertes eigenes Ziel und übersieht damit, dass seine konsequente Anwendung in allen anderen Nachhaltigkeitszielen bereits grundlegende Effekte hätte.

Frauenwerk: Frauen sind meistens zuständig bzw. verantwortlich für die Sorgearbeit für Familie, Kinder und Ernährung. Viele Lebensräume verschlechtern sich aufgrund der Klimakrise und der einhergehenden Umweltbedingungen. Frauen sind aber auch und zusätzlich Akteurinnen des Wandels. Wo gibt es Alltagspraktiken, Bewegungen, Widerstand und Anknüpfungspunkte für uns?

Madeleine Porr: Wir können uns weltweit von vielen Beispielen ökofeministischen Engagements und Widerstands sowie vielfältiger weiblicher* Kreativität für verbesserten Umwelt- und Klimaschutz inspirieren lassen: von den Buen-Vivir-Initiativen in der Abya Yala (Lateinamerika), dem Green Belt Movement in Kenia, der Chipko-Bewegung in Indien, dem Kampf um Landrechte indigener guatemaltekischer Frauen aus Verantwortung gegenüber der „Mutter“ Erde u.v.m. Dabei steht immer die klare Erkenntnis im Mittelpunkt, dass das derzeit vorherrschende profitorientierte Werte- und Wirtschaftssystem die Lebensbedingungen auf der Erde zerstört und deshalb dringend eingeschränkt und schließlich überwunden werden muss.

Anmerkung M. Porr verwendet das sogenannte Gender-Sternchen, um damit auf einfache Weise alle Geschlechtszugehörigkeiten sichtbar zu machen.

Hier geht es zum Blog von Frau Porr: https://madeleine-porr.blog/